Agilität als Allheilmittel?

Agilität bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, flexibel, anpassungsfähig und schnell auf Veränderungen zu reagieren. Aktuell wird in der Geschäftswelt Agilität häufig als das Allheilmittel für den Erfolg angesehen. Unternehmen streben danach, proaktiv und innovativ zu sein, um sich den schnellen Veränderungen und Herausforderungen des Marktes anzupassen.

Agilität als Methodik

Im Kontext von Unternehmens- und Projektmanagement steht Agilität oft für Ansätze und Methoden, die ihren Ursprung in der Softwareentwicklung haben. Diese sollen es Teams ermöglichen, auf Änderungen in Anforderungen oder im Umfeld rasch zu reagieren und kontinuierlich Mehrwert zu liefern. Bekannte agile Methoden sind Scrum, Design Thinking und Extreme Programming. Sie alle betonen Zusammenarbeit, Kundenfeedback und die kontinuierliche Verbesserung von Prozessen und Produkten.

Natürlich gab es auch vor der Einführung der aktuellen Methoden Unternehmen, die agil am Markt agierten und versuchten sich kontinuierlich zu verbessern. Es ist auch nicht so, dass das Einführen dieser Methoden ein Unternehmen automatisch agiler werden lassen. Agilität beginnt im Kopf, und ohne eine mental flexible Einstellung nützen die besten Methoden nichts. Dieser agile «Mindset» wird meiner Erfahrung nach allzu oft bei der Einführung von agilen Methoden vernachlässigt. Die Phrase «doing agile vs. being agile» bringt dies gut auf den Punkt.

Unabhängig von der gewählten Methodik sind kurz getaktete Etappen (Iterationen) bei der Erstellung von Ergebnissen mit anschliessendem Feedback von Anwendern oder Kunden meiner Ansicht nach immer wichtig. Diese werden im Rahmen von Scrum als Sprint bezeichnet, waren aber auch schon früher ein recht gängiges Vorgehen.

Den oft, speziell von Beratern strapazierte Wasserfallansatz, bei dem zuerst lange analysiert und spezifiziert wird, bevor es an die Umsetzung geht, mag es wohl gegeben haben, ich habe ihn aber in meiner über 25-jährigen Erfahrung in Digitalisierungsprojekten nie in Reinkultur erlebt.

Während Agilität im Sinne der verfügbaren Methoden zweifellos viele Vorteile bietet, ist es wichtig zu erkennen, dass es nicht immer das beste Vorgehen ist. Dies aus folgenden Gründen:

  1. Effizienzverlust: Wenn das Ziel klar festgelegt ist und keine wesentlichen Änderungen erwartet werden, kann der Einsatz agiler Methoden Zeit und Ressourcen verschwenden. Das ständige Überdenken und Anpassen von Plänen kann ineffizient sein.
  2. Mangel an Stabilität: In einem Umfeld, in dem jede Einheit unabhängig und agil operiert, kann es zu Instabilitäten kommen, besonders bei Abhängigkeiten zu anderen Projekten oder Systemen. Im Softwarebereich wird versucht, dem mit Microservice-Architekturen entgegenzuwirken.
  3. Fehlendes Fundament: Agilität kann dazu führen, dass Unternehmen sich zu sehr auf kurzfristige Lösungen konzentrieren und längerfristige Architekturen und Strategien vernachlässigen.

Die richtige Balance finden

Die Frage ist also, wie Unternehmen die richtige Balance zwischen Agilität, Effizienz und Stabilität finden können. Die Antwort liegt darin, dass die Wahl des Vorgehens von den jeweiligen Zielen und den spezifischen Anforderungen des Vorhabens abhängt.

Wenn das Ziel unklar oder starken Veränderungen unterworfen ist, können agile Methoden sehr effektiv sein. Bei klaren Zielen, wie etwa bei der Einführung einer Standardsoftware oder neuen, schon verständlich definierten Produkteigenschaften, kann eine traditionellere Projektmanagementmethode besser geeignet sein. Dies ermöglicht es, klare Pläne zu erstellen, Ressourcen effizient zu nutzen und das Projekt zielgerichtet voranzutreiben. Aber auch hier sollte in relativ kurzen, klar geplanten und iterativen Phasen vorgegangen werden. Dies wird zuweilen als Wasserfall in Sprints belächelt, hat aber nach meiner Ansicht durchaus seine praktische Berechtigung.

Zusammenfassend sind agile Methoden eine wertvolle Herangehensweise, aber sie sollte nicht dogmatisch angewendet werden. Unternehmen sollten flexibel sein und die Methodik wählen – und wo nötig anpassen oder kombinieren – die am besten zu ihren spezifischen Zielen und Projekten passt. Das eigentliche Ziel sollte immer die Maximierung des Kundenerlebnisses und Unternehmenserfolgs sein, unabhängig von der gewählten Methodik. Und wie eingangs erwähnt, beginnt jede Agilität im Kopf und nicht mit der gewählten Methode.

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